„Das Bekenntnis zur Inklusion ist die umfassendste Antwort auf den Nationalsozialismus“ (Michael Wunder)
Inklusion ist keine Ideologie
Vor 90 Jahren, am 14. Juli 1933, verabschiedeten die Nationalsozialisten das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Es ordnete die zwangsweise Unfruchtbarmachung von Menschen an, die vermeintlich nicht in den „gesunden und leistungsstarken Volkskörper“ passten. Dahinter verbarg sich ein mit Nützlichkeitsdenken gepaartes zutiefst rassistisches Menschenbild. Bis Kriegsende wurden mehrere Hunderttausend Menschen zwangssterilisiert. Ein großer Teil von ihnen wurde im Zuge der NS-„Euthanasie“ ermordet. Das alles begann schleichend und endete mit dem Massenmord an rund 300.000 behinderten und psychisch erkrankten Menschen.
Es ist alarmierend, wenn heute ein rechtsextremer Politiker die Inklusion als „Ideologieprojekt“ bezeichnet, von dem wir unser Bildungswesen befreien müssen. Er stellt die These auf, dass Inklusion zu den Projekten gehöre „die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen“. Derartige Ansichten erinnern an altbekanntes rassenhygienisches Gedankengut und sind meilenweit entfernt von heutigen Ideen zur Integration und Inklusion. Gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, das Recht für alle Kinder - unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Behinderungen, ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft - gemeinsam in einer „Schule für Alle“ zu lernen, sind unverhandelbare Grundrechte. Der Kampf um Inklusion in unserer Gesellschaft, in unseren Schulen war und ist mühsam und wird von vielen engagierten Menschen geführt. Ohne Inklusionsprojekte würden behinderte und psychisch erkrankte Menschen erneut diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt.
Wir können und wollen nicht schweigen, wenn das Ziel der Inklusion mit menschenverachtenden und rückwärtsgewandten Thesen in Frage gestellt wird. Wir, das sind Angehörige von „Euthanasie“-Opfern. Ihre Geschichte hat uns gezeigt, wohin die Beurteilung von Menschen nach Nützlichkeit und Effizienz gepaart mit moralischer Verrohung führt. Man hat den Opfern die Würde genommen, das Recht auf Teilhabe am Leben verwehrt und später sogar das Recht auf Leben abgesprochen. Die Zahl der Widerständler war damals klein - nicht unerheblich die Zahl der schweigenden Zuschauer. Jedes Opfer ist deshalb ein Auftrag an uns, an uns als Nachkommen, an die Politik und an jeden und jede Einzelne in unserer Gesellschaft: Der Auftrag zu mahnen, dass so etwas nie wieder geschieht.
Sigrid Falkenstein, Julia Gilfert, Gabriele Lübke
Die Angehörigen:
Anna Lehnkering, Tante von Sigrid Falkenstein, ermordet am 7. März 1940 in der Tötungsanstalt Grafeneck
Rosa Schillings, Großmutter von Gabriele Lübke, ermordet am 2. Mai 1941 in der Tötungsanstalt Hadamar
Walter Frick, Großvater von Juli Gilfert, ermordet am 7. August 1941 in der Nervenheilanstalt Bernau