Johann Josef Becker

Student aus Saarlouis (Saarland)

geb. in Fraulautern (Saarland)
gest. in Klingenmünster

Opferbiografie Johann Josef Becker, Porträt

Biografie

Johann Josef Becker wurde am 1. Februar 1909 in Fraulautern/Saar als Sohn des Ofenbauers Heinrich Becker und seiner Frau Margarethe, * 20. Februar 1874, geboren. Er hatte 3 Geschwister, die Schwester Greta, den älteren Bruder Peter und den jüngeren Bruder Heinrich.

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Opferbiografie Johann Josef Becker, Foto mit Mutter, jüngerem Bruder und Schwester vor dem Elternhaus
Johann Josef Becker mit Mutter, jüngerem Bruder und Schwester vor dem Elternhaus.

Schule

In Fraulautern besucht er die Volksschule, wechselt auf das Gymnasium in Saarlouis und macht dort Ostern 1930 sein Abitur. Laut Klassenkonferenz vom 17. Dezember 1929 für die zur Reifeprüfung gemeldeten Schüler werden ihm „gute Gesundheit und ziemlich gute Begabung für alle Fächer“ bescheinigt. Seine besonderen Neigungen für Mathematik, Französisch und auch Religion  werden beschrieben. Französisch wählt er sich zum Prüfungsfach. Er möchte nach dem Abitur ein Lehrfach studieren1

Beginn eines Studiums

Im Sommersemester 1930 beginnt er an der Universität Gießen mit dem Studium der Philologie. Nach 3 Semestern lässt er sich am 30.05.1931 in Gießen exmatrikulieren.2

Heirat und Geburt einer Tochter

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Opferbiographie: Johann Josef Becker, Foto mit Tochter Elke 1934
Johann Josef Becker mit seiner Tochter Elke, vermutlich 1934 in Fraulautern.

In dieser Zeit hat Josef Becker mit Elisabeth Leonhard, einer jungen Frau von 19 Jahren, eine Beziehung. Sie arbeitet als Angestellte in der Gastronomie und Hotellerie. Die beiden kennen sich wohl schon seit dem Ende seiner Schulzeit. Im Sommer 1930 wird die Freundin schwanger, 4 Tage vor der Niederkunft heiraten die beiden in Gießen, wo ihr Kind Elke Margarethe schließlich am 5. April 1931 geboren wird.

Die Tochter wird in ihren ersten Lebensjahren von der Mutter des Vaters in Fraulautern betreut und erzogen. Der Kontakt des Vaters Josef Beckers mit seiner Tochter ist begrenzt auf Besuche. Im September 1931 hält er sich in Nancy auf.  Ob er dort weiter studiert, arbeitet, in Frankreich seine Sprachkenntnisse verbessern will, ist nicht bekannt.3

Erst ab dem Wintersemester 1932/33 nimmt er das Studium in Deutschland wieder auf, in Frankfurt am Main schreibt er sich mit dem Studienfach neue Philologie ein. Es wohnt zunächst in der Grünen Str. 21 im Erdgeschoss. Eine Operation im Krankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen zur Jahreswende 1932/33 erschwert wohl den Fortgang seines Studiums.

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Opferbiographie: Johann Josef Becker, Ausweiskarte
Ausweiskarte der Universität Frankfurt, 1932.

Er beantragt im Februar 1933 ihm die Aufnahmegebühren zu erlassen und ein Urlaubssemester einzulegen, was ihm bewilligt wird. Am 12. Mai 1933 erklärt er seine „arische Abstammung“ und gibt dabei als seine Wohnadresse Kiesstraße 31, nahe der Universität an. Im Sommersemester 1933 nimmt er sein Studium erfolgreich wieder auf. Doch bereits zu Beginn des Wintersemesters 1933/34 beantragt er ein weiteres Urlaubssemester mit der Begründung von finanziellen Schwierigkeiten.  Diesmal wird sein Antrag abgelehnt, ein Abgangszeugnis ausgestellt und er verlässt er die Frankfurter Universität endgültig im Sommer 1934 ohne Prüfungen abgelegt zu haben.4 

 

Emigration

Am 15. Januar 1935 emigriert Josef Becker nach Frankreich. Einen Tag nach der Volksabstimmung im Saargebiet, das bis dahin laut Versailler Vertrag Mandatsgebiet des Völkerbundes war. Seine Emigration scheint mit hoher Wahrscheinlichkeit politisch begründet, gleichwohl sich keine Dokumente zu einer antifaschistischen Aktivität erhalten haben.

Die Schwester Greta gibt jedoch im Zusammenhang mit einem Entschädigungsantrag der Mutter 1947 an, dass ihr die Gestapo Briefe gezeigt hätte, die der Bruder in Frankreich „gegen Hitler“ geschrieben hätte. Schon in seiner Zeit als Student an der Universität Frankfurt habe er sich 1933 aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt. Zudem bescheinigt die Ortsparteigruppe der C.V.P. in Fraulautern in diesem Entschädigungsantrag eine politisch motivierte Emigration.5

In Frankreich durchläuft er im Frühjahr 1935 ein Auffang- und Verteilungslager für Saaremigranten in Carcassonne.6 1936 lebt er in Pau, mit der Wohnadresse 3, Rue Bernadotte. Davon zeugt eine eidesstattliche Erklärung, in der er versichert kein Anrecht mehr auf sein Erbe zu haben, da seine Eltern sein Studium finanziert hätten.        

Bereits Ende 1935 hat seine Ehefrau die Scheidung von ihrem emigrierten Mann in die Wege geleitet, sie heiratet 1936 erneut. Die gemeinsame Tochter wird in Folge mit Polizeigewalt den bisher betreuenden Eltern von Josef Becker entrissen und wächst künftig in der neuen Verbindung der Ehefrau auf.                                                                                                                                                  

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Opferbiografie Johann Josef Becker, eidesstattliche Erklärung
Eidesstattliche Erklärung Johann Josef Beckers, 1936.

Wie es ihm in seiner Zeit in Frankreich als Emigrant ergeht, inwieweit er sich sozial und beruflich integrieren kann, sein Lebensunterhalt gesichert ist, darüber ist nichts dokumentiert. Seine Schwester gibt nach dem Krieg an, dass er in Pau als Deutschlehrer an einem französischen Gymnasium tätig war.

Verhaftung und Hochverratsverfahren

1938 fährt er von Paris, seinem wahrscheinlich letzten Aufenthaltsort in Frankreich nach Saarbrücken. Es ist der 29. Juli, als er bei seiner Ankunft auf dem Hauptbahnhof verhaftet wird. Die Eltern, die Schwester Greta und der Schwager werden Zeugen dieser Verhaftung. Er wird in Untersuchungshaft gebracht. Warum ist er nach Deutschland zurückgekehrt? Zwang ihn ein Ablauf der Aufenthaltserlaubnis in Frankreich dazu? Wollte er einfach nur nach Jahren seine Eltern, seine Tochter wiedersehen? War er sich der Gefahr einer Verhaftung bewusst?7

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Opferbiographie: Johann Josef Becker, Aktenvermerk
Aktenvermerk zur Einlieferung in die JVA Saarbrücken am 29.07.1938.

Josef Becker wird nacheinander in Köln und Stuttgart inhaftiert, ein Verfahren wegen Hochverrates wird gegen ihn eingeleitet. Bei den Verhören durch die Gestapo ist davon auszugehen, dass er physische und psychische Gewalt erfährt. Es finden Hausdurchsuchungen bei den Eltern und der Schwester durch die Gestapo statt. Was ihm konkret angelastet wird, ist nicht mehr rekonstruierbar, denn seine Prozessakten sind 1944 infolge eines Bombenangriffes in Stuttgart vernichtet worden.8

Patient im NS-Psychiatriesystem

Während des laufenden Verfahrens wird er am 10. November 1938 in die Nervenklinik des Landeskrankenhauses Homburg/Saar eingewiesen. Dort wird er als Patient mit dem Krankheitsbild Schizophrenie geführt. Bis zum 31. August 1939 verbleibt er im Krankenhaus. Zwischenzeitlich ist das Ermittlungsverfahren am 24. April 1939 eingestellt worden. Am 31.08.1939 wird das Landeskrankenhaus wegen des Kriegsbeginns geräumt, Josef Becker in die Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster im Taunus verlegt. Nach einer anderen Quelle wird er aus dem Landeskrankenhaus Merzig dorthin verlegt. In dieser Heil- und Pflegeanstalt verbringt er die kommenden dreieinhalb Jahre. Die Patienten erfahren keine ausreichende Versorgung, die Anstalt ist stark überbelegt, die pflegerisch-hygienischen Zustände katastrophal. Weilmünster ist zudem Zwischenanstalt für die Krankenmorde der ersten Phase 1940/41. Im Jahre 1943 erhält er Besuch von seinen Eltern und der Schwester. Diese sind erschüttert über seinen gesundheitlichen Zustand. Unter diesem Eindruck erwirken die Eltern vermutlich seine Entlassung am 23. März 1943 und pflegen den Sohn zuhause weiter.9

Die erlebten Traumatisierungen sind jedoch zu stark, die psychiatrischen Symptome, die der Sohn zeigt, überfordern die Eltern in ihrem häuslichen Rahmen. So berichtet es sein jüngerer Bruder Heinrich 1980. Josef Becker wird erneut in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Wann das genau geschieht, ist nicht dokumentiert. Erst seine Verlegung von der Heilanstalt Lörchingen in Lothringen nach der Anstalt Klingenmünster/Pfalz am 2. Juni 1944 belegt seine erneute stationäre Einweisung.10

Aus Lörchingen konnten sich nach heutigem Stand keine Patientendaten ermitteln lassen.  In Klingenmünster verbringt Josef Becker sein letztes Lebensjahr. Er ist mittlerweile in Folge der desaströsen Bedingungen in den "Heilanstalten" zusätzlich an Lungen- und Knochentuberkulose im fortgeschrittenen Stadium erkrankt. Sein Vater erkundigt sich am 11. Juni 1944 nach dem Gesundheitszustand seines Sohnes und erfragt die Besuchstage der Anstalt.11

Tod in der Heilanstalt Klingenmünster

Josef Becker erlebt noch das Kriegsende, verstirbt jedoch am 25. Juni 1945 in der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster. Er liegt zuletzt im Epidemiehaus für Männer. Am 27. Juni wird er auf dem Anstaltsfriedhof nach katholischem Ritus bestattet. Die Eltern erhalten keine Nachricht über den Tod ihres Sohnes. Im April 1946 erkundigt sich die Betreuungsstelle ehemaliger politischer Häftlinge und Auswanderer in Saarlouis nach Josef Becker. Erst dann werden die Eltern auf dem Postweg über den Tod ihres Sohnes informiert.12

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Opferbiografie Johann Josef Becker, Todesinformation
Schreiben der Anstalt Klingenmünster an die Eltern von Johann Josef Becker, 1946.

Meinem Großvater zum Gedenken.  

Uwe Henning


Fußnoten

  1. Reifeprüfungszeugnis Gymnasium Saarlouis Ostern 1930[back...]
  2. Universitätsarchiv Gießen, Matrikel-Nummer 1096[back...]
  3. Brief an Peter (Bruder ?), geschrieben in Nancy am 19.09.1931, Privatbesitz[back...]
  4. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Studentenakte UAF Abt. 604 Nr. 7217[back...]
  5. Landesarchiv Saarbrücken, LEA 3268, Angaben der Schwester Greta Weller aus dem Entschädigungsantrag, Stellungnahme des Vorsitzenden der C.V.P. Fraulautern, ohne Datum[back...]
  6. Eidesstaatliche Erklärung im Entschädigungsantrag[back...]
  7. JVA SB 16647 Saarbrücken, Aktennotiz der Einlieferung 29.07.1938[back...]
  8. Oberlandesgericht Stuttgart, Geschäftszeichen O J. S. 94/38[back...]
  9. Landesarchiv des Saarlandes, Saarbrücken, AZ. LEA 3268 Stellungnahmen der Schwester Greta im Antrag auf Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus [back...]
  10. Patientenakte J. J. Becker, Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster, Landesarchiv Speyer[back...]
  11. Patientenakte J. J. Becker, Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster, Landesarchiv Speyer[back...]
  12. Patientenakte J. J. Becker, Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster, Landesarchiv Speyer[back...]

Orte der Biografie

Geburtsort: Fraulautern (Saarland)

Fraulautern
66740 Saarlouis
Deutschland

11069 Carcassonne
Frankreich

64000 Pau
Frankreich

Hauptaufenthaltsort: Saarlouis (Saarland)

66740 Saarlouis
Deutschland

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