Wiktoria Stachowiak
Arbeiterin aus Grodzisk Wielkopolski (Wielkopolska) (katholisch)
geb.
in
Grodzisk Wielkopolski (Wielkopolska)
gest.
in
Starogard Gdański
Arbeiterin aus Grodzisk Wielkopolski (Wielkopolska) (katholisch)
geb.
in
Grodzisk Wielkopolski (Wielkopolska)
gest.
in
Starogard Gdański
Die Konradsteiner Akte über Wiktoria Stachowiak erweckt den Eindruck, die letzte Phase ihres Lebens sei geprägt von dem Streit der Behörden um die Kostenübernahme ihrer Versorgung. Die in Grätz (Provinz Posen) im Jahr 1912 geborene katholische Arbeiterin und Mutter zweier Kinder wurde am 10. März 1942 vom Sondergericht Posen, einem Instrument der deutschen Besatzungsherrschaft im Warthegau, zu drei Jahren Haft wegen angeblichen Landfriedensbruchs verurteilt. Die Haft im Frauenzuchthaus Fordon bei Bromberg führte offenbar zu zusätzlichen Komplikationen. Ein Arzt des Gesundheitsamtes Bromberg stellte fest, dass sie am 9. Mai1942 von einem Außenkommando »abgelöst« werden musste, »da sie sehr erregt war und durch lautes Schreien, sowie Angriffe auf die Mitgefangenen Ruhe und Ordnung« gestört hatte. Er empfahl die Beobachtung in einer staatlichen Heil- und Pflegeanstalt, um festzustellen, ob nur eine Haftpsychose oder doch eine »Geisteskrankheit« vorliege.
Daraufhin entbrannte ein bürokratischer Kampf um die Abschiebung der finanziellen Verantwortung auf die jeweils andere Behörde. Frau Stachowiak wurde am 2. Januar 1943 in der Heil- und Pflegeanstalt Konradstein aufgenommen. Am selben Tag wurde eine letztlich dünn gebliebene Krankenakte angelegt, während die Verwaltungsakte stetig anschwoll. Am 2. April 1943 unterlag die Oberstaatsanwaltschaft beim Posener Sondergericht einem Irrtum, als sie der Anstalt mitteilte, dass Frau Stachowiak zur Beobachtung, nicht zur Verwahrung, dorthin gebracht worden wäre. Dieser unscheinbare Lapsus löste eine in der archivischen Überlieferung fast schon hörbares Aufatmen der Gesundheitsbehörden aus, die nun argumentierten, dass die Kosten für den Anstaltsaufenthalt durch die Staatsanwaltschaft beglichen werden müssten. Erst zu Beginn des Jahres 1944 konnte die Frage der Kostenerstattung gelöst werden. Zu diesem Zeitpunkt ging es Wiktoria Stachowiak bereits sehr schlecht. Bis dahin bestanden die Einträge in der durch polnische Ärzte in deutscher Sprache geführten Krankengeschichte hauptsächlich aus Anmerkungen, dass die Patientin angeblich »stumpf« sei und nicht beschäftigt werden könne. Anzeichen , dass sie um ihr Leben und ihre Gesundheit kämpfte, wurden zu ihrem Nachteil ausgelegt. Als sie sich im April 1943 dagegen wehrte, dass ihr eine andere Patientin ihre Decke wegnehmen wollte, begann sie einen Kampf darum. Dies quittierte der Arzt nur mit der lapidaren Bemerkung, sie hätte sich ein blaues Auge »eingefangen«. Kurz nach diesem Akt der Selbsterhaltung in einer Anstalt, in der die Krankensäle kaum geheizt wurden, wurde sie auf eine andere Station verlegt.
Wenige Tage später erfolgte eine Anzeige an das Gesundheitsamt, da sie an einer Lungentuberkulose zu leiden begann. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1943 scheint analog zur Verwaltung auch das ärztliche Personal verwirrt gewesen zu sein. Der Stationsarzt vermerkte, dass Wiktoria Stachowiak »alles« essen würde und bereits 20 Kilo zugenommen habe. Die Korrektur folgte prompt, als am 16. Januar 1944 notiert wurde, dass sie 41 Kilo wiege und damit fast genau so viel wie ein Jahr zuvor. Nicht auszuschließen ist, dass, bedingt durch die hohe Patientenzahl und das Fehlen von Ärzten, die Einträge in den Akten verschiedener Patienten durcheinandergerieten. Als gesichert, weil durch Fieberkurven belegt, erscheinen dagegen die nächsten Notizen: Diagnostiziert wurde nun hohes Fieber, das als so bedenklich erschien, dass Wiktoria Stachowiaks Schwester über das bevorstehende Ableben informiert wurde. Auch die Mutter, Hedwig Jendrzyczak, erhielt am 19. April 1944 ein Telegramm der Anstaltsleitung: »Es wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihre Tochter Wiktoria Stachowiak schwer erkrankt ist und evtl. mit dem Ableben gerechnet werden muss. Einen alsbaldigen Besuch stelle ich Ihnen anheim.«
Zu diesem kam es nicht mehr, wie überhaupt vermutet werden kann, dass der zweite Satz des Telegramms nur einen Normalität vorspiegelnden Charakter hatte. Am 4. Mai 1944 vermerkte die Ärztin Ludwika Sobczak, dass der Tod an diesem Tag um 18:20 Uhr eingetreten und durch das Grundleiden Schizophrenie und die Begleitkrankheiten offene Lungen- und Darmtuberkulose verursacht worden sei. Einige Tage später wurde Wiktoria Stachowiak auf dem Anstaltsfriedhof begraben.
Nach dem Eintrag der letzten Verwaltungsvorgänge wurde die Akte kurz darauf weggelegt.1
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